Foto: https://www.wegmaninstitut.ch
Peter Selg ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychatrie. Er leitet das Ita-Wegman-Institut in Arlesheim/Schweiz und ist als Professor für medizinische Anthropologie und Ethik an der Universität Witten-Herdecke tätig. Er ist durch seine zahlreichen Buchveröffentlichungen und Vorträge bekannt, in denen er vielfältige Themen aus anthroposophischer Sicht beleuchtet. Anhand von drei Büchern lade ich Sie ein Peter Selg kennenzulernen.
Auf lebendige und erhellende Weise eröffnet Peter Selg die eigentlichen geistigen Absichten Rudolf Steiners, die zur Begründung der Waldorfschule führten. Er eröffnet – gerade unter den Schwierigkeiten der Zeit, die auch die Waldorfschulen betrifft – ein tieferes Verständnis für die ursprüngliche Bedeutung der Waldorfschulen:
“Die Waldorfschule unter Rudolf Steiner begann ihren Weg am Ende des ersten Weltkrieges, am Ende einer mitteleuropäischen Katastrophe, die die größte war, die man bis dahin in diesen Ländern kollektiv erlebt und durchlitten hatte – mit acht Millionen Toten, 21 Millionen Verwundeten, unendlich vielen heimatlosen und traumatisierten Seelen. Der tschechische Ministerpräsident sagte damals, Europa sei zu einem `Laboratorium über einem riesigen Friedhof` geworden. Inmitten dieser gesellschaftlichen Situation und angesichts ihrer ungelösten Grundprobleme begann die Waldorfschule; nicht als Idylle und als Refugium für bessergestellte Esoteriker – bzw. deren Kinder – sondern als heilender Impuls, in grundlegender Weise. Als eine heilende Initiative nicht nur für das einzelne Kind, sondern für die Kinder überhaupt, als Essenz, Hoffnung und Realität einer künftigen Gesellschaft, einer Friedensgesellschaft. In der Nachkriegssituation des Jahres 1919 ermöglichte Rudolf Steiner die Begründung der Waldorfschule, auf Bitten eines schwäbischen Unternehmers, der um die soziale Not der Zeit wusste. – Ja, Rudolf Steiner – und so werde ich heute Abend in sehr direkter und zentraler Weise auch etwas über ihn zu berichten. Das scheint mir wichtig, etwas davon zum Ausdruck zu bringen, wer Rudolf Steiner war und was er wollte.”
Ich denke Sie bemerken unmittelbar, dass Peter Selg tiefe Kenntnis zu seinem Thema besitzt und er einen realen Zusammenhang aufzeigt, in welche schwierige Zeit die Gründung der Waldorfschule fiel. Ich finde es ist wahrnehmbar, wie der Autor reale Empfindungen und tiefe zusammenhängende Kenntnisse besitzt und so eine Sichtweise eröffnet, die den Leser im Seelenleben durch Inhalte bewegen und berühren kann.
In seinem Buch über Hans und Sophie Scholl schreibt Peter Selg im Vorwort:
“Hans und Sophie Scholl nahmen den `vollbewussten Kampf gegen das in der Menschheitsentwicklung auftretende Böse`, von dem Rudolf Steiner bereits 1917 und im Hinblick auf die kommenden Entwicklungen sprach, in einer umschriebenen Geschichtsepoche und in existentiellem Sinne auf sich. Sie wirkten dabei ganz aus ihren inneren Maßstäben heraus – aus der Entschiedenheit einer individuellen Moralität, die keinen allgemeinen Verhaltensnormen ihrer Zeit entsprach, sondern auf selbsterrungenen Wegen gefunden und realisiert werden musste.”
Mich haben seine Ausführungen zum inneren geistigen Weg der Geschwister Scholl sehr bewegt. Die Beschreibung ihrer inneren Krisen, ihrer Motive und ihres Ringens anhand persönlicher Aufzeichnungen und Berichte geht einem zu Herzen und erweckt immer mehr Interesse an deren Leben. Peter Selg hat den Werdegang vieler bedeutender Persönlichkeiten (Friedrich Schiller, Christian Morgenstern…) erforscht und hierzu faszinierende Biographien verfasst. Einige davon habe ich mit großer Anteilnahme gelesen: Über Rudolf Steiner, über Alexander Schmorell (Weiße Rose) oder über Karl König, dem Begründer der weltweiten Camphill – Bewegung (Heilpädagogische Einrichtungen auf anthroposophischer Basis).
Im letzten Jahr veröffentlichte Peter Selg ein hochinteressantes Buch, das sich mit den Rassismusvorwürfen gegenüber Rudolf Steiner beschäftigt, die seit vielen Jahren gezielt in den Medien verbreitet werden. Auf fundierte und differenzierte Weise klärt er die überwiegend unsachlichen und projektiven Angriffe gegen die Anthroposophie auf. Klar und konkret geht er auf die Kritiker ein. Sein Blick wirkt frei und er benennt durchaus auch manche Schattenseiten der anthroposophischen Bewegung. Er verdeutlicht jedoch in großer Klarheit den Grundcharakter der Anthroposophie und des Wirkens Rudolf Steiners. Peter Selg hebt hervor, wie es Steiner im Kern um die Entwicklung des Ich und der freien Individualität ging. Der Einzelne sei zur Erkenntnis fähig und in der Lage zu einer individuellen Moralität vorzustoßen und auf dieser Grundlage selbstbestimmt zu handeln.
Hier haben Sie die Möglichkeit, sich einen Vortrag von Peter Selg anzuschauen, den er am 16. November 2020 in Dornach gehalten hat. Der Titel lautete «Der Brückenschlag zur radikalen Rechten»? Über die Anthroposophie in der Zeit des Nationalsozialismus.
Peter Selg ist mit seiner Arbeit wie wenige tief in die Inhalte der Anthroposophie eingedrungen und er kann auf sympathische und lebendige Weise mit seinen Themen Menschen faszinieren. Aus seinen Veröffentlichungen sieht man, wie intensiv er das Zeitgeschehen beobachtet und welches erstaunlich umfangreiche Werk er bis heute geschaffen hat.
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